EIN LAND, DAS INSPIRIERT


 

 

Die Po-Ebene, ein faszinierendes Land. GWir kommen durch Dörfer, an riesigen verlassenen Höfen und modernen Bauernbetrieben vorbei, an kleinen Hainen, an Feldern, so weit das Auge reicht. Bäche suchen sich ihren Weg in den hinter Dämmen erahnbaren, mächtigen Mutterfluss Po. Immer wieder tauchen romanische Kirchen und historische Bauten auf, die die wechselvolle Geschichte Italiens widerspiegeln. Und obwohl nirgendsdie kleinste Erhebung auszumachen ist, schlängelt sich die Strasse plötzlich in Kurven, als ob sie sagen wollte: bleib aufmerksam.

Das «Agnus Dei» von Verdis «Messa da Requiem» spielt im Radio, beschwört mit seinen langsamen Tonfolgen die Eintönigkeit der Ebene. Nichts passiert. Die Ereignislosigkeit gibt den Menschen die Musse, sich für die wesentlichen Dinge des Lebens Zeit zu nehmen. Für das Essenzum Beispiel. Es ist kein Zufall, dass die Emilia-Romagna als «Bauch Italiens» gilt und mit seinem entspannten Gleichmut als Hort all dessen, was Reisende als Italianità erleben und beschreiben.

Manchmal, in den kalten Wintermonaten, liegt der Nebel so tief und dicht, dass man kaum die eigene Hand vor den Augen sieht.  Flimmern auf. Diese Landschaft ist Giuseppe Verdis Heimat. Der grosse Musiker und Komponist weltbekannter Opern wie «Aida», «La Traviata» oder «Rigoletto» ist hier vor geboren. In Le Roncole bei Busseto in der Provinz Parma der Region Emilia-Romagna.

Busseto ist ein hübsches Städtchen mit gut 7000 Einwohnern. Die Via Roma, durch die man zwangsläufig kommt, ist gesäumt von Bogengängen mit Geschäften, Vinotheken, Bars, Restaurants. Aber der Maestro omnipräsent. Rechterhand die Casa Barezzi, wo Verdi unter der Obhut seines Gönners Antonio Barezzi seine erste Musikausbildung genoss und 1830 als Pianist vor kleinem Publikum debütierte. Linkerhand die grosszügige Piazza Verdi, an deren Stirnseite seine monumentale Statue, dahinter das entzückende Teatro Verdi mit gut 300 Plätzen, das der Musiker zeitlebens nie betreten hat. Weil er seine Heimat zwar liebte, aber den Bussetani nicht immer grün war.

Verdi machte stets einen grossen Bogen um Busseto und das Geschwätz seiner stichelnden Bewohner – obwohl seine Villa nur gerade einen Kilometer weit entfernt war. Und er spendete für das nach ihm benannte Theater zwar entscheidende 10 000 Lire, aber nur, um anschliessend in Ruhe gelassen zu werden.

Vielleicht ist es diese Weite, die fast meditative Gleichförmigkeit der Po-Ebene, die in der Emilia-Romagna auch zahlreiche Künstler zu herausragenden Werkeninspirierte. Komponisten wie Claudio Monteverdi aus Cremona, den Dirigenten Arturo Toscanini aus Parma. Filmregisseure wie Bernardo Bertolucci oder Michelangelo Antonioni. Dichter wie Alessandro Manzoni, die Schriftsteller Luigi Malerba und Giovannino Guareschi, der einige Jahre in Verdis Geburtsort Le Roncole gelebt hat und dessen Geschichten um Don Camillo und Peppone, den schlitzohrigen Priester und den kommunistischen Bürgermeister, Filmgeschichte schrieben.

Giuseppe Verdi war aber nicht nur ein grosser Musiker und ein typischer Vertreter der Emilia-Romagna, er war Integrationsfigur für das neue Italien. In einer Zeit der Fremdherrschaft aufgewachsen, da erst Napoleon, später Fürsten und österreichische Herzoge den Norden des heutigen Italiens unter sich aufteilten und tyrannisierten, ergriff er als Nationalist Partei für das Königreich Italien. Seine Opern sind der Soundtrack des Umbruchs: Er brachte nicht Kunstfiguren, sondern richtige Menschen und ihre Dramen auf die Bühne, er brach Tabus, seine Musiktheater waren eingängig, wuchtig, dem Volk verpflichtet. Der berühmte Gefangenenchor in der Oper «Nabucco» etwa, 1842 an der Mailänder Scala uraufgeführt, bediente sehr konkret das Freiheitsstreben der Italiener: «Va, pensiero, sull’ali dorate» – flieg, Gedanke, auf goldenen Flügeln.

Dass Verdi zur nationalen Lichtgestalt wurde, spiegelt sich auch im Begriff «Viva Verdi» – es lebe Verdi. Die zwei Worte waren ein Code, um insgeheim dem König Vittorio Emanuele II zu huldigen: «Viva Verdi» meint aufgeschlüsselt «Viva Vittorio Emanuele Re d’Italia» – es lebe Viktor Emanuel, König von Italien.

Ein Steinwurf von Busseto (4 km) entfernt liegt der Weiler Le Roncole, Verdis Heimatort. Fast wären wir an seinem Geburtshaus vorbeigefahren, unscheinbar, wie es ist. Sein Vater war Schankwirt und Lebensmittelhändler mit Postkutschenstelle, seine Mutter verdiente als Spinnerin etwas dazu. Sie waren nicht arm, aber auch nicht so reich, dass sie ihrem begabten Sohn eine Musikausbildung hätten zahlen können. Sicher ist, dass bei den Verdis immer viel los war und der Junge Giuseppe durch das ständige Kommen und Gehen viel vom politischen Rumoren in seinem Land mitbekam.

Vom Aufstieg Verdis zeugt die stattliche Villa Sant’Agata in der Nähe von Busseto, die der Maestro 50 Jahre lang bewohnte – bis kurz vor seinem Tod 1901. Heute zum Teil Museum mit Multimediaführung durch sein Leben, war das Landgut sein Rückzugsgebiet und Experimentierfeld. Hier hielt er Hühner und Fische, züchtete Kiwis, zog Tomaten und Reben, pflanzte Kartoffeln an, kochte seinen geliebten Risotto und schrieb seine Musik. Und hier dachte er auch an schwierige Zeiten zurück, in denen er fast verzweifelt wäre: Er hatte 1840 den Verlust seiner ersten Frau und zweier Kinder zu beklagen. Und nachdem im gleichen Jahr auch noch seine komische Oper «Un giorno di regno» ausgepfiffen worden war, beschloss er deprimiert, das Komponieren aufzugeben.

Er war ganz unten, als ein Auftrag von der Oper Mailand, ein Libretto zu vertonen, die Wende einleitete: Der Sensationserfolg mit «Nabucco» 1842 war buchstäblich aus der Not geboren. Von da an gabs kein Halten mehr. In seiner «Zeit als Galeerensklave », wie er selber seine produktivsten Jahre nannte, schrieb Verdi ein gutes Dutzend weitere Opern, sein grossartiges Requiem für den 1873 verstorbenen Dichter Alessandro Manzoni, etliche geistliche Stücke, Kammermusik und Kantaten.

Verdi zeigte sich geschickt im Umgang mit Noten – mit den musikalischen ebenso wie mit den monetären. Das erlaubte ihm, sich zwischen seinen Engagements an den grossen Opern in aller Welt auch andern Interessen zu widmen. Und das Geschehen in seinem Land zu beobachten. Betrübt vom Ausbleiben des sozialen Fortschritts in Italien, errichtete er in den 1870er-Jahren die Casa di Riposo, ein Altersheim für ehemalige Musiker in Mailand. Die Casa di riposa existiert noch heute, der Schweizer Regisseur Daniel Schmid hat ihr 1984 mit dem Dokumentarfilm «Il bacio di Tosca» ein Denkmal gesetzt.

 

 

Text von “Der Komponist der Italianità”

von Giulia Pompeo

Für Schweizer Familie

 

 

 

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